Die Chemie hinter der CO₂-Abscheidung in Kraftwerken: Ein Einblick in post-verbrennungstechnische Aminwäsche
Im Zuge der weltweiten Dekarbonisierungsbestrebungen rücken Technologien in den Fokus, die Treibhausgasemissionen aus bestehenden Infrastrukturen direkt reduzieren können. Eine der zentralen Optionen ist die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Sequestration, CCS) – eine Prozesskette, die CO₂ aus industriellen Abgasen entfernt, bevor es in die Atmosphäre gelangt.
Dieser Beitrag befasst sich mit der Aminwäsche nach der Verbrennung, dem am weitesten verbreiteten und technologisch ausgereiftesten CCS-Verfahren für fossile Kraftwerke. Die zugrunde liegende Chemie ist ebenso elegant wie komplex – und stellt ein eindrucksvolles Beispiel angewandter Umwelttechnik dar.
Grundlagen der CO₂-Abscheidung mit Aminen
Im Zentrum dieses Verfahrens steht die reversible Reaktion zwischen CO₂ und wässrigen Aminlösungen. In den meisten kommerziellen Anlagen kommt Monoethanolamin (MEA) zum Einsatz – aufgrund seiner hohen Reaktivität und der umfangreichen Betriebsdatenlage.
Die maßgebliche Reaktion lässt sich wie folgt darstellen:
In einem Absorber wird CO₂ aus dem Rauchgas chemisch gebunden. Die beladene Lösung wird anschließend in einen Regenerator geleitet, wo durch Wärmezufuhr das CO₂ wieder freigesetzt und das Lösungsmittel regeneriert wird.
Diese exotherme, reversible Reaktion ermöglicht effiziente Abscheidung bei niedrigen Temperaturen, erfordert aber erhebliche thermische Energie zur Rückgewinnung des Lösungsmittels – ein zentraler Nachteil des Verfahrens.
Zersetzungsprozesse und Betriebsherausforderungen
Ein zentrales Problem bei der Aminwäsche ist die chemische Zersetzung des Lösungsmittels. Zwei Hauptmechanismen sind hierfür verantwortlich:
Thermische Zersetzung im Hochtemperaturbereich des Regenerators führt zur Bildung stabiler Salze und irreversibler Nebenprodukte.
Oxidative Zersetzung durch Sauerstoff und Verunreinigungen wie SO₂ und NOₓ erzeugt Ammoniak, organische Säuren (Formiat, Acetat) und zersetzte Aminfragmente.
Diese Abbauprodukte verringern die Konzentration des aktiven Amins, fördern Korrosion, Fouling und erhöhen die Betriebskosten. Zudem können bei bestimmten Bedingungen Nitrosamine und Nitramine entstehen – potenziell krebserregende Substanzen.
Zur Minderung dieser Effekte kommen Rückgewinnungsanlagen, Inhibitoren und alternative Aminformulierungen (z. B. MDEA, Piperazinmischungen) zum Einsatz.
Energieaufwand und Wirkungsgradverluste
Die Regeneration des Lösungsmittels verursacht einen erheblichen Energieverlust im Kraftwerksprozess. Bei MEA-basierten Systemen liegt der thermische Bedarf typischerweise bei 3–4 GJ pro Tonne CO₂, wobei moderne Lösungsmittel diesen Wert auf etwa 2,5 GJ/t senken können.
Dies führt zu einer spürbaren Reduktion des Netto-Wirkungsgrads:
Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke verlieren rund 10 Prozentpunkte.
Kohlekraftwerke erleiden Effizienzverluste von 10–12 Prozentpunkten.
Maßnahmen zur Effizienzsteigerung umfassen Wärmerückgewinnung, Zwischenkühlung des Absorbers und mehrstufige Stripper. Dennoch bleibt der Energiebedarf eine zentrale Hürde für die breite Anwendung.
Umweltaspekte und Emissionskontrolle
Obwohl CCS CO₂-Emissionen reduziert, entstehen neue Umweltaspekte. Besonders relevant ist der Amin-Schlupf – die Emission von flüchtigen Aminen aus dem Absorber.
In Verbindung mit NOₓ und atmosphärischem Ozon können sich Nitrosamine und Nitramine bilden, die selbst in sehr geringen Konzentrationen kritisch sind. Obwohl primäre Amine wie MEA weniger zur Nitrosaminbildung neigen, können Abbauprodukte problematisch sein.
Gegenmaßnahmen beinhalten:
Waschstufen mit Wasser oder Säuren
Abgasüberwachung
Low-volatility-Lösungsmittel, die gezielt geringe Nebenproduktbildung aufweisen
Auch die Entsorgung von Abfallprodukten aus der Lösungsmittelaufbereitung unterliegt strengen Vorgaben.
GE Vernova und technische Systemintegration
GE Vernova verfolgt einen systemischen Ansatz zur CCS-Integration – insbesondere bei Gasturbinenkraftwerken. Anstatt ausschließlich auf neue Lösungsmittel zu setzen, wird der Fokus auf prozessoptimierende Systemkomponenten gelegt:
Abgasrückführung (EGR): Durch Rückführung eines Teils der Abgase zur Turbine wird die CO₂-Konzentration erhöht und der O₂-Anteil gesenkt – beides verbessert die Absorption und senkt die Lösungsmittelexposition.
Dampfextraktion: CCS-Systeme nutzen Niederdruckdampf aus dem bestehenden Kreislauf zur Regeneration, wodurch zusätzliche Dampferzeuger vermieden werden.
Integrierte Steuerungssysteme: Erhöhen die Stabilität und Effizienz bei wechselnden Lastbedingungen.
Im Rahmen öffentlich geförderter Projekte (z. B. Barry Plant, USA) konnte GE mit OASE® blue von BASF den Absorber um über 40 % verkleinern. Zudem prüft GE den Einsatz von feststoffbasierten Adsorbern in Zusammenarbeit mit Svante.
Perspektiven für CCS in den kommenden 10–15 Jahren
Die großflächige Einführung von CCS hängt stark ab von:
Finanziellen Anreizen (z. B. Steuerkredit 45Q in den USA)
Regulatorischen Rahmenbedingungen für CO₂-Transport und -Speicherung
Öffentlicher Akzeptanz
Prognosen bis 2035 gehen davon aus, dass CCS vor allem im Gaskraftwerkssektor vermehrt zum Einsatz kommt, insbesondere in Ländern mit ambitionierten Klimazielen. Ergänzt durch Bioenergie-CCS (BECCS) kann damit sogar eine negative CO₂-Bilanz erzielt werden.
Fazit
Die post-verbrennungstechnische CO₂-Abscheidung mit Aminen ist ein technisch ausgereiftes, jedoch komplexes Verfahren. Fortschritte in der Lösungsmittelchemie, Anlagentechnik und Umweltkontrolle erhöhen kontinuierlich die Effizienz und Anwendbarkeit.
CCS stellt damit eine zentrale Brückentechnologie dar – zur Dekarbonisierung fossiler Kraftwerke und zur Gewährleistung einer stabilen, zuverlässigen Stromversorgung auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Hier ist eine Arbeitsfassung meines technischen White Papers (leider nur auf Englisch) für alle, die mehr Informationen möchten: https://docs.google.com/document/d/1jm-d9PR-zDEs2C6CAmrjdqcZUjZq2fzCPixKtcqCYvk/edit?usp=sharing